Gedichte und Gebete für Trauernde
Wenn mein Geist in mir verzagt
Ein Weisheitslied Davids, als er in der Höhle war. Ein Gebet.
Laut schreie ich zum HERRN, laut flehe ich zum HERRN.
Meine Sorge schütte ich vor ihm aus, tue kund vor ihm meine Not.
Wenn mein Geist in mir verzagt, kennst doch du meinen Pfad;
auf dem Weg, den ich gehe, haben sie mir Schlingen gelegt.
Blicke zur Rechten und sieh, niemand will mich kennen,
verloren ist mir die Zuflucht, niemand fragt nach mir.
HERR, ich schreie zu dir, ich spreche:
Du bist meine Zuflucht, mein Teil im Land der Lebenden.
Vernimm mein Flehen, denn ich bin sehr schwach.
Rette mich vor meinen Verfolgern, denn sie sind mir zu mächtig.
Führe mich hinaus aus dem Kerker, damit ich deinen Namen preise.
Die Gerechten werden sich um mich scharen, weil du mir Gutes tust.
Psalm 142 © 2007 Zürcher Bibel / Theologischer Verlag Zürich
Der Segen der Trauernden
Gesegnet seien alle,
die mir jetzt nicht ausweichen.
Dankbar bin ich für jeden,
der mir einmal zulächelt
und mir seine Hand reicht,
wenn ich mich verlassen fühle.
Gesegnet seien die,
die mich immer noch besuchen,
obwohl sie Angst haben,
etwas Falsches zu sagen.
Gesegnet seien alle,
die mir erlauben,
von den Verstorbenen zu sprechen.
Ich möchte meine Erinnerungen
nicht totschweigen.
Ich suche Menschen,
denen ich mitteilen kann,
was mich bewegt.
Gesegnet seien alle,
die mir zuhören,
auch wenn das,
was ich zu sagen habe,
sehr schwer zu ertragen ist.
Gesegnet seien alle,
die mich nicht ändern wollen,
sondern geduldig so annehmen,
wie ich jetzt bin.
Gesegnet seien alle,
die mich trösten
und mir zusichern,
dass Gott mich nicht
verlassen hat.
Nach Marie-Luise Wölfing
Du hast ein Recht auf deine Trauer
Du hast ein Recht auf deine Trauer.
Du darfst dich deinen Verlusten widmen,
musst nicht verdrängen, was dich beschwert.
Du hast ein Recht, das abzutrauern,
was dich so tief enttäuscht hat
und was du nicht ändern kannst.
Du hast ein Recht auf deine Tränen,
auf dein Schweigen, auf deine Ratlosigkeit,
auf deine innere und äussere Abwesenheit.
Du musst nicht den Glücklichen spielen,
nicht über den Dingen stehen.
Du hast ein Recht, die wegzuschicken,
die dich mit Gewalt aus deiner Trauer
herausholen wollen, weil deine
Trauer sie selbst bedroht.
Du hast ein Recht auf deine Trauerzeit.
Du hast ein Recht, mit denen nicht reden
zu wollen, die dir ein schlechtes Gewissen
machen für deine Dunkelheit und Trauer.
Die dich mit ihren Sprüchen unter
Druck setzen wollen.
Du hast ein Recht auf deine Trauerstille.
Du hast ein Recht, dich zu wehren gegen die,
die dir sagen, was du fühlen darfst und was nicht,
die dich nicht als Einzelnen,
sondern als Fall behandeln und sich innerlich
nicht wirklich mit dir einlassen.
Nichts ist so menschlich wie deine Trauer.
Über sie kann ein Trauernder sich dir nähern
und auf Verständnis hoffen.
Trauern zu können ist eine Gabe.
Lass dir das Recht auf deine Trauer nicht nehmen.
Ulrich Schaffer © mit freundlicher Genehmigung des Dichters (gefunden auf Facebook mit Hinweis zur freien Verwendung)